Bruckner der Moderne: Vom Domorganisten zum Komponisten von Welt

François-Xavier Roth, Generalmusikdirektor der Stadt Köln, und das Gürzenich-Orchester setzten ihr großes Aufnahmeprojekt zu Anton Bruckner fort. Am 7. Juni 2024 erscheint das nächste Album mit der 1. und 2. Sinfonie bei myrios classics. Bis zu Bruckners 200. Geburtstag am 4. September sollen die drei noch übrigen Sinfonien veröffentlicht werden.

Der Bruckner-Sinfonien-Zyklus den François-Xavier Roth und das Gürzenich Orchester 2021 starteten steht nun kurz vor der Vollendung. Mit der 1. und 2. Sinfonie setzen sie das Aufnahmeprojekt mit einem Doppelalbum bei myrios classics fort. Zur Feier des diesjährigen 200. Geburtstages Bruckners am 4. September sollen bis dahin auch noch die weiteren Einspielungen mit der 5. und 6. und schließlich die Gesamtbox inklusive der 8. Sinfonie erscheinen. Das Orchester und François-Xavier Roth stellen in diesem Projekt die Erstfassungen der Sinfonien ins Zentrum und unterstreichen deren zukunftsweisende Modernität. »Bruckner lässt in seinen Sinfonien ein regelrechtes Klang-Magma entstehen, indem er das Innenleben der Klänge formt. Ein Hörerlebnis, das die Spektralmusik gewissermaßen voraus nimmt«.  Dies trifft auch bereits auf seine ersten sinfonischen Werke zu.

Bruckner findet seine musikalische Sprache

Für Anton Bruckner, den streng religiösen Domorganisten, der eher als zurückhaltend, regeltreu und autoritätsbewusst galt, brauchte es mehr als ein vertieftes Studium auf dem Weg zum Komponisten. Erst durch die Bestärkung von außen durch seinen Lehrer sowie seine Unterstützer in Linz, traute er sich, seine kompositorischen Potenziale zu entfesseln. Maßgeblich war hier ab 1861 der Einfluss seines 10 Jahre jüngeren Lehrers Otto Kitzler, welcher ihn neben Kontrapunktik und Musiktheorie auch die neue Musiksprache der Zeit von Richard Wagner, Hector Berlioz sowie Franz Lizst nahebrachte. Nach seinen frühen noch unausgereiften Kompositionsversuchen konnte er mit seinem ersten öffentlichen Werk, der Messe in d-Moll, am 20. November 1864 schließlich das Fachpublikum von sich überzeugen. Bereits hier zeigten sich Zeichnen seiner modernen musikalischen Ausrichtung und einer seiner Unterstützer, Moritz von Mayfeld, sagte zu dieser Zeit bereits voraus, Bruckner werde »schon in nächster Zukunft das Feld der Simphonie, und zwar mit dem größten Erfolg, bebauen […] Ebnen wird ihm nach Kräften die Wege […].«

Vier Jahre später vollendete Anton Brucker dann seine 1. Sinfonie in c-Moll, die am 9. Mai 1868 im Linzer Redoutensaal uraufgeführt wurde. Bereits im ersten Satz, der laut Musiker und Journalist Volker Hagedorn  »beginnt(,) wie ein Satz, den Gustav Mahler vierzig Jahre später komponiert haben könnte« , zeigen sich nun Quantensprünge zu seinen vorherigen Kompositionen. Er erreicht einen monumentalen Klang, der später typisch für seine Sinfonien werden sollte und baut ebenso gekonnt eine Tannhäuser-Fortschreibung von Wagners Pilgerchor ein. Bruckners 1. Sinfonie in der „Linzer Fassung“ unterscheidet sich von seinem Spätwerk wie auch der „Wiener Fassung“ (1891) dieser Sinfonie durch eine besondere Lebendigkeit. Im zweiten Satz scheint er sich etwas zu verlieren, kann danach jedoch wieder die geübte Kontrapunktik, geschickte Akkordverschiebungen und schnell wechselnden, teils fragmentarische Themen und Motiven gut verbinden. Auch wenn Anto Bruckner für die Aufführung seiner ersten Sinfonie Ovationen erhält, erreicht er hier noch kein großes Publikum, sondern spielte nur vor der „Aristokratie“ sowie dem Bischoff. Die großen Bühnen werden, zumindest für seine eigenen Kompositionen, noch einige Jahre auf sich warten lassen.

Als Orgelvirtuose gefeiert, als Sinfoniker missverstanden

Im Jahre 1871 darf Anton Brucker zunächst große Erfolge als Organist erleben. So wird er in London im August in mehreren Konzerten auf der Weltausstellung gefeiert und spielt als allererster auf der neuen Orgel in der Royal Albert Hall.  Hier skizzierte er bereits das Finale für seine zweite Sinfonie, welche er zurück in Linz im Oktober beginnt. Auch wenn das Publikum von ihm und auch seine Improvisationen begeistert ist, entscheidet er sich gegen eine Englandtournee im folgenden Jahr. Und die Hochstimmung seiner musikalischen Erfolge wird zurück in Linz bald durch eine Krise gedämpft. In der 2. Sinfonie spiegelt sich daher wohl auch dieser Kontrast von Hochgefühlen und pessimistischer Unruhe. Durch alle vier Sätzen ziehen sich „Verzweifelte Ausbrüche, innige Gebete, wüste Tanzboden-Szenen und ratloses Verstummen“, so Musikwissenschaftler Christian Kosfeld. Auch wenn das Publikum der Uraufführung am 26. Oktober 1873 begeistert scheint, musste Bruckner seine Sinfonie sogar selbst dirigieren, da der Linzer Chefdirigent sie als „Unsinn“ abgelehnt hatte. Genau die zerfallende oder auch haltlose musikalische Form, ist laut Musikern heute jedoch das, was die Sinfonie erst so modern macht. Aufgrund der zahlreichen kritischen Stimmen nahm Bruckner 1877 zahlreiche Änderungen vor, entfernte die Zitate, die Generalpause sowie die Wagnisse der Harmonie und nahm seiner 2. Sinfonie damit auch ihre spannende Eigenwilligkeit.


Bruckner im Konzert:

18. und 19. Mai 2024, Berliner Philharmonie

Berliner Philharmoniker
François-Xavier Roth, Dirigent

Vito Žuraj: Anemoi für großes Symphonieorchester (Uraufführung) Kompositionsauftrag der Stiftung Berliner Philharmoniker und des Esprit Orchestra Toronto

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 3 d-Moll (Fassung von 1873)

 

Informationen zu bisherigen Veröffentlichungen und Konzertmitschnitte: Mediathek Gürzenich-Orchester

 

 

 

 

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