Geheimnisvolles Mysterium: François-Xavier Roth und Les Siècles spielen Pelléas et Melisande ein

Mit ihrem historisch informierten Ansatz werden der französische Dirigent und sein Originalklang-Ensemble Les Siècles dem hohen Anspruch von Debussys rätselhafter Oper gerecht – und eröffnen neue Perspektiven auf ein Opernexperiment.

Collage Pelléas et Melisandre

Als ein Ufo beschreibt François-Xavier Roth Debussys Oper Pelléas et Melisande, die mit ihrer geheimnisvollen Handlung und Debussys raffinierter Instrumentationskunst schon 1902 die Hörgewohnheiten seiner Zeitgenoss:innen herausforderte. Nun nimmt sich der französische Dirigent der einzigartigen Oper seines Landmanns an und spielte sie mit seinem Ensemble Les Siècles und dem Opernchor der Oper Lille ein. Die Klangwelten, die Debussy entwickelte, werden von Roth und Les Siècles auf Instrumenten der französischen Jahrhundertwende zum Leben erweckt. Durch den historisch ausgerichteten Ansatz kommen die subtile Instrumentierung und die Klangfarben seiner Musik voll zur Geltung.

Die Aufführungen der Oper an der Opéra de Paris und der Kölner Philharmonie (dort nur konzertant) im Oktober 2021 zogen bereits hohes Lob nach sich. So kommentierte Rondo: „Eine ungewöhnliche, intime und sehr einfühlsame Interpretation von Debussy, die neue Wege aufzeigt“. Bachtrack schrieb: „Das Ensemble erwies sich unter Roths Vorstellungen – sicher zur Freude Debussys – als eine Schar versierter Maler oder Regisseure, die die spätromantischen Bilder von Landschaft und Personage in die hüllenden Graublau-Farben von viel düsterem Dunkel bis zu den winzigen Lichtblicken nahe eines Weißtons tauchten.“

Die Oper mit Les Siècles nun auch einzuspielen, ist Roth bereits seit dem Beginn seiner Laufbahn ein Anliegen: „Pelléas et Mélisande war die erste Oper, die ich 2002 als junger Dirigent des Orchesters von Caen einstudieren sollte. Und ich musste mich daran machen, ohne dass ich lange überlegen konnte. In den vergangenen zwanzig Jahren meiner Laufbahn hatte ich glücklicherweise oft Gelegenheit, mich mit Debussys Musik zu beschäftigen, insbesondere zusammen mit Les Siècles. Heute spricht mich dieses Stück an, diese Dichtung, die eng mit der Entstehung der Psychoanalyse verbunden ist und diesem Bedürfnis, in die düstersten Bereiche seines inneren Ich zu tauchen. Das ist die Grundlage, von der ich ausgehe, um zu versuchen, das Werk mit dem größtmöglichen Respekt vor dem Text zu dirigieren. Es ist eine Oper, der ich mich sehr nahe fühle, und je mehr ich sie studiere und dirigiere, desto mehr finde ich, dass sie schwierig und rätselhaft ist.“

Authentischer Klang durch historische Instrumente

Seit François-Xavier Roth 2003 Les Siècles mit Musikern aus seiner französischen Heimat gründete, setzen Dirigent und Ensemble neue Standards in der historischen Aufführungspraxis. Mit der konsequenten Verwendung von historischen Instrumenten schaffen sie einen neuen Zugang zu Werken aller Epochen, von dem auch Debussys Musik profitiert:

„Wenn man auf Instrumenten aus jener Zeit spielt, versteht man, warum er in der Szene, die im Gewölbe spielt, die Posaunen einsetzt; die Resonanz der Kontrabässe mit Darmsaiten … All diese Farben haben einen Sinn, die Klangkombinationen sorgen für Harmonie bei diesem Experimentieren. Ein Großteil des Orchesters sind Streicher, die auf Darmsaiten spielen und so einen unendlich feinen Klang erzeugen. Ich könnte ohne nicht mehr leben. Sie tragen die Stimmen und umhüllen sie gleichzeitig. Und dann ihre Spielpraxis. Ich denke an die vielen Passagen, die wir ohne Vibrato spielen und so die Linie unserer Arbeit mit Gluck und Berlioz weiterführen. Das ist riskant, weil schwieriger, man kann sich nicht hinter dem Vibrato verstecken. Aber das verleiht der Art, diesem Text Ausdruck zu verleihen, eine große Feinheit und Reinheit. So kann man einen Pelléas hören, der sehr kräftige Farben hat und, auf pragmatische Art, ein eher einfaches Verhältnis zu der Stimme.“

So machen Les Siècles die Klangvorstellungen Debussys authentisch nachvollziehbar und werfen gleichzeitig ein neues Licht auf ein bekanntes Werk.

VÖ am 4. März 2022 bei harmonia mundi

Cover Pelléas et Melisandre

 

 

Fotos: Holger Talinski & Frédéric Iovino

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