Historische Abenteurer – Les Siècles und François-Xavier Roth widmen sich Camille Saint-Saëns
Auf einem Tripel-Album kombinieren die Musiker:innen das wohl bekannteste Werk des Komponisten, Den Karneval der Tiere, mit dem Danse Macabre und unbekannteren Sinfonischen Dichtungen sowie der ersten Filmmusik. Das Album erscheint am 17. November beim Label Harmonia Mundi.
Die Vögel zwitschern aufgeregt in ihrer Volière, der erhabene Schwan zieht seine Kreise auf dem Wasser, der Elefant trampelt unbeholfen durch die Landschaft – wer kennt sie nicht, die Protagonisten aus Camille Saint-Saëns Karneval der Tiere? Doch so wie von François-Xavier Roth und seinem Ensemble Les Siècles, das Originalinstrumente der jeweiligen Zeit nutzt, hat man das populärste Werk des französischen Komponisten noch nie gehört. Wie man es von Dirigent und Orchester gewohnt ist, öffnen sie die Ohren für Altbekanntes durch Neugelesenes und Neuinterpretiertes. Sie machen vieles anders. Zum Beispiel stand Roth beim Dirigieren nicht vor zwei Klavieren, wie man bei diesem Stück annehmen mag, sondern vor einem. Genauer: einem Doppelklavier des Klavierbauers Pleyel aus dem Jahr 1897, einer Leihgabe des Pariser Musée de la musique – ein einziges, rechteckiges Instrument, aber mit zwei gegenüberliegenden Klaviaturen. Insgesamt wurden nur 74 Exemplare produziert. Der Dirigent Felix Mottl (1856-1911), einer der ersten Pianisten, die dieses Instrument im Konzert gespielt haben, schrieb: »Die besonders geniale Konstruktion erlaubt es, durch zwei voneinander völlig unabhängige Mechanismen die verschiedensten Anschlagsarten zu erzeugen, vom sanftesten Pianissimo bis zum lautesten Fortissimo, und zwar ohne jede Furcht vor Verwirrung, da jede Klaviatur und jeder Saitensatz vollkommen selbständig arbeiten kann.«
Aber beim Karneval der Tiere bleibt es nicht. Roth und Les Siécles widmen sich genauso dem weniger Gespielten, den Werken, die es nicht in den Kanon geschafft haben – manchmal aus unerfindlichen Gründen. Auf der ersten CD des Doppelalbums sind etwa vier Sinfonische Dichtungen zu hören, die Saint-Saëns zwischen 1872 und 1877 schrieb. Schon in seiner Jugend war er von denen Liszts fasziniert. Irgendwann befreite er sich selbst von den eher restriktiven Strukturen der Sinfonie und des Konzerts und suchte mit den Sinfonischen Dichtungen neue Ausdrucksmöglichkeiten für die Orchestermusik. Roth erläutert die Stückauswahl: »Zusammen mit den Opern gehören diese vier Kompositionen zu seinen interessantesten Werken, die wir erst jetzt wiederentdecken. Mit ihnen wurde er zum Begründer einer Art Schule, denn Franck, Chausson und Dukas sollten in seine Fußstapfen treten. Saint-Saëns ist nie übertrieben: das ist sein Markenzeichen. Er schafft einen farbenfrohen und mitreißenden Charakter.« Die Werke des französischen Komponisten gehören zum Kern des Ensembles, liegt seine musikalische Basis doch auf dem französischen romantischen Repertoire, gespielt auf Originalinstrumenten der jeweiligen Zeit. 2023 ist ein Jubiläumsjahr für Les Siècles – seit nunmehr 20 Jahren erforschen sie auf diese Weise die Musikgeschichte.
Dass von Saint-Saëns die früheste dokumentierte Filmmusik eines Komponisten stammt, ist wohl nur wenigen bekannt – Les Siècles schließt mit dem Doppelalbum diese Wissenslücke und nahm seine Musik zu L’Assassinat du duc de Guise (1908) auf. Wie er in diesem Werk das Harmonium einsetzt, das mit den tiefen Streichern und den Blasinstrumenten verschmilzt: Er wollte eindeutig eine Klangpalette schaffen, die so neu ist wie das Medium selbst. François-Xavier Roth und Camille Saint-Säens – auf diesem Doppelalbum treffen sich zwei musikalische Abenteurer.
Die Veröffentlichung
17. November bei harmonia mundi
Camille Saint-Saëns
CD 1
Phaéton
La Jeunesse d’Hercule
Le Rouet d’Omphale
Danse macabre
Bacchanale (aus „Samson et Delila“)
CD 2
Le Carnaval des animaux
CD 3
L’Assassinat du duc de Guise (Filmmusik)