Madama Butterfly in Athen – Politischer Diskurs statt Kitsch

Der Regisseur Olivier Py inszeniert Giacomo Puccinis Oper im Odeon des Herodes Atticus. Die Premiere ist am 1. Juni, weitere Vorstellungen finden am 4., 7. und 10. Juni statt.

Die Griechische Nationaloper eröffnet das Epidaurus-Festival in Athen mit einer Neuinszenierung von Giacomo Puccinis Madama Butterfly, die am 1. Juni 2023 Premiere im Odeon des Herodes Atticus feiert. Regie führt der renommierte französische Opern- und Theaterregisseur Olivier Py, der sich hier zum ersten Mal mit Puccinis Meisterwerk auseinandersetzt. Der Dirigent ist Vassilis Christopoulos.

Diese Produktion wird durch die finanzielle Unterstützung der Stavros Niarchos Foundation (SNF) ermöglicht, um die künstlerische Reichweite des GNO zu erhöhen.

Madama Butterfly ist eine der beliebtesten Opern des Repertoires. Giacomo Puccinis „japanische Tragödie“ ist berühmt für ihre wunderbaren Arien, die besonderen Melodien und die dramatische Theatralik.

Für die Neuinszenierung von Madama Butterfly beauftragte die Griechische Nationaloper den führenden französischen Regisseur Olivier Py mit der Inszenierung des Werks, nachdem er bereits 2020 mit Wozzeck in der Stavros-Niarchos-Hall einen großen Erfolg feierte. Nun kehrt er nach Griechenland zurück, um Puccinis Meisterwerk zu inszenieren, diesmal im Odeon des Herodes Atticus. Py, der vor kurzem zum künstlerischen Leiter des Théâtre du Châtelet in Paris ernannt wurde, nachdem er neun Jahre lang das Festival d’Avignon geleitet hatte, inszenierte weltweit bereits mehr als vierzig Opernwerke inszeniert. Mit Madama Butterfly bringt er nun zum ersten Mal ein Werk Puccinis auf die Bühne des Odeon des Herodes Atticus und stellt die politischen Dimensionen von Puccinis Werk in den Vordergrund – in seinem typischen Regiestil. „Wir hoffen, dass die Kraft von Puccinis politischer Botschaft in unserer Inszenierung zum Vorschein kommt und dass dieses widersprüchliche Werk nicht länger als eine traurige und sentimentale Geschichte in einem zuckersüßen Rahmen angesehen wird, sondern vielmehr als ein kraftvolles Stück politischer Diskurse, das den Tod einer Welt ankündigt, so der Regisseur. Die beeindruckenden Bühnenbilder und Kostüme der Inszenierung wurden von Pys langjährigem Mitarbeiter Pierre-André Weitz entworfen. Die Inszenierung wird von dem gefeierten griechischen Maestro Vassilis Christopoulos dirigiert, der kürzlich zum Chefdirigenten der Oper Graz in Österreich ernannt wurde.

Die Titelrolle wird von der aufstrebenden koreanischen Sopranistin Anna Sohn gesungen. Sohn schloss ihr Studium in Mailand ab und wurde bei Mirella Freni, Renata Scotto und Olaf Bär ausgebildet. Sie hat eng mit der Korea National Opera in Seoul zusammengearbeitet, ist an italienischen Opernhäusern aufgetreten und hat unter anderem in Rom, Paris, Avignon, Luxemburg und Zürich gesungen. In den letzten Jahren war sie auch Mitglied des Opernensembles des Theaters Dortmund, wo sie u. a. die Rollen der Madama Butterfly und der Liù aus Turandot verkörperte.

In der Hauptrolle des Pinkerton ist der gefeierte italienische Tenor Andrea Carè zu hören, der in dieser Rolle bereits an der Metropolitan Opera sowie in Wien, Madrid, Toronto, Turin und anderswo triumphiert hat. In der Rolle der Suzuki ist die herausragende Mezzosopranistin Alisa Kolosova zu hören, während Sharpless von dem außergewöhnlichen GNO-Bariton Dionysios Sourbis gespielt wird. Mit ihnen auf der Bühne stehen die GNO-Solisten Diamanti Kritsotaki, Yannis Kalyvas, Haris Andrianos, Petros Magoulas, Petros Salatas, Christos Lazos, Vassiliki Petroyanni, Vaia Kofou und Vicky Athanassiou.

Zu hören sind außerdem Orchester und Chor der Griechischen Nationaloper.

Olivier Py über seine Inszenierung

Madama Butterfly gilt gemeinhin als Melodram ohne politischen Tiefgang, das in einem fantastischen Japan spielt. Seit dem 19. Jahrhundert neigen Librettisten und Komponisten dazu, zeitgenössische gesellschaftliche Probleme an andere, weit entfernte Orte zu verlagern. In Bizets Carmen geht es nicht um Spanien, sondern um das Frankreich nach der Revolution, und in Verdis Aida geht es nicht um das alte Ägypten, sondern um Italien im Zuge der Vereinigung – das Risorgimento. Solche Verlagerungen sind eine Möglichkeit, die Zensur bei so abwegigen Themen wie Prostitution, staatlich sanktionierter Gewalt oder der dem Geld innewohnenden Macht zu umgehen. In gewissem Sinne ist Butterfly keine Ausnahme. Ohne das „Lokalkolorit bleibt die Geschichte eines Amerikaners ohne jede Moral, der sich ein fünfzehnjähriges Kind kauft – und vernichtet. Unter den blühenden Kirschbäumen sind die wahren Triebfedern dieses Werks Niedertracht, Gewalt, die Negation der japanischen Kultur, Lust und Alkoholismus.

Wir haben es hier also nicht mit einem Melodram zu tun, sondern eher mit einem Abstieg in die Hölle – also mit etwas weniger Sentimentalem, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Vielleicht ist unsere Zeit empfindlicher für die ungezügelte sexistische Gewalt des Yankee Pinkerton, für den Whiskey und Dollarnoten die einzig wahren Götter sind. Das ist es, was das Werk auf psychologischer Ebene viel tiefgründiger macht, als man es auf den ersten Blick begreifen mag. In diesem Fall nimmt die Politik der menschlichen Beziehungen, die vom Geld bestimmt werden, die Rolle des Schicksals in der Tragödie ein – ein rücksichtsloser Gott in einer Welt ohne freien Willen. Dieser schicksalhafte Gott des Geldes ist durch und durch ein echter Gott, nicht nur ein Mythos.

Wenn, wie oben erwähnt, die kulturelle Aneignung all dieser Exotismen in den Opern der damaligen Zeit als eine Art Maske verwendet wurde, so haben wir es hier mit einem Sonderfall zu tun. Puccini kannte Japan nicht gut (in der Tat kannte kein Westler Japan gut), aber er kannte Amerika gut – das Amerika des Revolvers, das in seiner La fanciulla del West (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) zu finden ist, ein Ort, der den Komponisten so bezauberte und erschreckte. Für ihn ist es eine Welt, in der Menschlichkeit und moralische Werte im Niedergang begriffen sind.

 

Puccinis Weitsicht

Cio-Cio-San gleicht zweifellos eher einer naiven jungen Prostituierten, die in einer westlichen Großstadt lebt, als einer echten Geiko, aber der Mann, der sie ausnutzt, ist absolut real und wird hier in all seiner schädlichen Macht dargestellt.

In den 1920er Jahren sah sich Japan bereits mit einer Welle der gewaltsamen Verwestlichung konfrontiert. In nur einem halben Jahrhundert wandelte sich das Land von einer mittelalterlichen Gesellschaft zu einer Industriegesellschaft. Und zu dieser Zeit lauerte bereits die Gefahr, dass die japanische Kultur in eine Art folkloristischen Kitsch kippte. In Praise of Shadows – jenem ausgezeichneten Buch von Tanizaki – ist von diesem Verschwinden die Rede. Das Aufkommen der Elektrizität wird zum Verschwinden des traditionellen Japans führen, von dem nichts als die Erinnerung an seine traditionellen Formen bleiben wird. Etwas vom japanischen Geist wird auf dem Weg zum Fortschritt, den der Westen als absolute Tugend vorgibt, entwertet.

Aber wie kann man sich nicht über die unglaubliche Weitsicht Puccinis wundern, der sich die Atombombe und die Zerstörung einer ganzen Stadt durch die amerikanischen Streitkräfte nicht vorstellen konnte (ohne dass dies jemals – wir erinnern uns – eine strategische Notwendigkeit gewesen wäre). Wie kann man nicht Schauder empfinden bei dem Gedanken, dass er seine Handlung in Nagasaki ansiedelt, einer Stadt, die Zeuge der atomaren Vernichtung wurde. Dass er – ohne den Vorteil der Voraussicht ­­– seine Butterfly zur Verkörperung eines Japans macht, das keine Überlebenschance hat.

 

Cio-Cio-San als Symbol für die käufliche Welt

Die Zerstörung Japans in Bezug auf seine kulturelle Identität, seine Verwandlung in eine amerikanische Kolonie, ist jedoch keine Entwicklung, die auf den japanischen Archipel beschränkt ist. Im Gegenteil, sie betrifft die ganze Welt in einer Zeit, in der die Globalisierung die lokalen Kulturen auslöscht und alle Bevölkerungen in kapitalistische und konsumistische Strukturen einbindet, die sich im amerikanischen Modell manifestieren. Alles ist käuflich, und alles wird dabei zerstört – so hat Puccini den amerikanischen Expansionismus verstanden, ohne die weitreichenden Folgen dieser Katastrophe zu ahnen. Heute ist nicht nur Cio-Cio-San verkauft und gedemütigt, erniedrigt und vernichtet worden, sondern die ganze Welt. So erhält das Werk eine universelle Dimension, ohne jemals seine Bedeutung für das spezifische Schicksal Japans zu verlieren.

Manche sind schockiert über die furchtbare Mitschuld der Heldin, die sich ihrem Elend hingibt. Doch in der Schlussszene findet sie das, was Jankélévitch die „einzige Freiheit nennt: die Freiheit des Selbstmords. Der Seppuku, den Mishima beging, war nicht anders: Er bedeutete eine Verweigerung des amerikanischen Way of Life und eine Wiederaneignung der japanischen Kultur als eine Art unveräußerliche Freiheit.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die Kraft von Puccinis politischer Botschaft in unserer Inszenierung zum Vorschein kommt und dass dieses widersprüchliche Werk nicht länger als eine traurige und sentimentale Geschichte in einem zuckersüßen Rahmen betrachtet wird, sondern als ein kraftvolles Stück politischen Diskurses, das den Tod einer Welt ankündigt.“

 

Madama Butterfly auf einen Blick

 

Der Komponist /

Giacomo Puccini wurde am 22. Dezember 1858 in Lucca, Toskana, geboren. Er war nicht nur das fünfte von sieben Kindern, sondern entstammte auch als Musiker der fünften Generation einer Dynastie von Domorganisten, Dirigenten und Komponisten (vor allem von Kirchenmusik). Puccini ist bis heute einer der erfolgreichsten italienischen Opernkomponisten, denn die meisten seiner Werke werden noch immer in den Repertoires der Opernhäuser in aller Welt aufgeführt. Bereits mit seiner dritten Oper, Manon Lescaut (1893), hatte er seinen unverwechselbaren Klang geschaffen, während er mit seinen nächsten drei Werken – La Bohème (1896), Tosca (1900) und Madama Butterfly (1904) – als wichtigster Nachfolger von Giuseppe Verdi gefeiert wurde. Puccini starb 1924 und hinterließ seine letzte Oper – Turandot (1926) – unvollendet.

 

Das Werk /

Madama Butterfly ist eine tragedia giapponese („japanische Tragödie“) mit einem Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa, das auf dem gleichnamigen amerikanischen Theaterstück von David Belasco aus dem Jahr 1900 basiert, das wiederum auf einer Kurzgeschichte von John Luther Long aus dem Jahr 1898 beruht. Einige Details der Handlung stammen aus dem 1887 erschienenen Roman Madame Chrysanthème von Pierre Loti.

 

Uraufführungen /

Madama Butterfly wurde am 17. Februar 1904 als Oper in zwei Akten an der Mailänder Scala uraufgeführt. Eine überarbeitete Fassung, nun in drei Akten, wurde am 28. Mai 1904 im Teatro Grande in Brescia aufgeführt. Die heute präsentierte Form des Werks basiert auf der Fassung, die Puccini für die Opéra Comique in Paris vorbereitet hat, wo sie am 28. Dezember 1906 aufgeführt wurde.

 

Inhaltsangabe /

Akt I: Nagasaki an der Wende zum 20. Jahrhundert. Benjamin Franklin Pinkerton, Leutnant der US-Marine, ist bei Goro, einem japanischen Heiratsvermittler, um die letzten Details seiner bevorstehenden Hochzeit mit der fünfzehnjährigen Geisha Cio-Cio-San, auch Butterfly genannt, zu regeln. Pinkerton teilt Sharpless, dem Konsul der Vereinigten Staaten, mit, dass diese Verbindung nach japanischem Recht nicht bindend ist und jederzeit problemlos aufgelöst werden kann. Sharpless versucht vergeblich, den Leutnant zu warnen, dass die jugendliche Cio-Cio-San ihre Ehe sehr ernst nehmen wird.

Die Braut trifft mit ihren Freunden und Verwandten ein. Sie zeigt Pinkerton ihre spärlichen Habseligkeiten, darunter den Dolch, mit dem sich ihr Vater umgebracht hat. Nach der Hochzeitszeremonie kommt der Bonze – Butterflys Onkel –, um sie zu denunzieren, weil sie ihrem Glauben abgeschworen hat, und fordert die übrigen Verwandten auf, dasselbe zu tun. Cio-Cio-San wird mit Pinkerton allein gelassen, der versucht, sie zu trösten. Suzuki, ihr Dienstmädchen, hilft der jungen Geisha, sich für ihre Hochzeitsnacht anzuziehen. Butterfly geht dann zu Pinkerton in den Garten.

Akt II: Drei Jahre später spricht Cio-Cio-San in der gleichen Residenz allein mit Suzuki. Obwohl Pinkerton kurz nach der Hochzeit in sein Heimatland abgereist und nie zurückgekehrt ist, bleibt Cio-Cio-San ihm treu und träumt von dem Tag, an dem sie ihn wiedersehen wird. Sharpless trifft ein: Er will Cio-Cio-San auf Pinkertons Rückkehr in Begleitung seiner amerikanischen Frau vorbereiten, aber sie weigert sich, auf ihn zu hören und schenkt Sharpless ihren Sohn von Pinkerton. Sie schmückt das Haus für seine Ankunft und lässt sich mit Suzuki und dem Kind nieder, um die ganze Nacht schlaflos auf ihn zu warten. Als der Morgen graut, bringt Cio-Cio-San ihren Sohn in ein anderes Zimmer und singt ihn in den Schlaf. Pinkerton und Sharpless kommen herein und bitten Suzuki, mit der amerikanischen Frau des Ersteren zu sprechen, die vor dem Haus wartet. Pinkerton schwelgt in Erinnerungen an die Vergangenheit. Von Gewissensbissen geplagt, beschließt er, Cio-Cio-San nicht zu begegnen, und geht. Butterfly erscheint und sucht nach ihrem Mann. Zu ihrem großen Entsetzen sieht sie die fremde Frau im Garten und erfährt von Sharpless und Suzuki, dass Pinkerton nie wieder zu ihr zurückkehren wird. Sie scheint diese Entwicklung zu akzeptieren und erklärt sich sogar bereit, Pinkerton ihren Sohn zu überlassen, aber nur, wenn er kommt, um ihn mitzunehmen.

 

Oper – Neuinszenierung

Madama Butterfly

Giacomo Puccini

1., 4., 7., 10. Juni
Beginnt um: 21 Uhr
Odeon des Herodes Atticus
Im Rahmen des Epidaurus-Festivals in Athen

Dirigent: Vassilis Christopoulos
Regie: Olivier Py
Bühnenbild, Kostüme: Pierre-André Weitz
Beleuchtung: Bertrand Killy
Chorleiter: Agathangelos Georgakatos

Cio-Cio-San: Anna Sohn
Suzuki: Alisa Kolosova
Kate Pinkerton: Diamanti Kritsotaki
F. Pinkerton: Andrea Carè
Sharpless: Dionysios Sourbis
Goro: Yannis Kalyvas
Prinz Yamadori / Kaiserlicher Kommissar: Haris Andrianos
Der Bonze: Petros Magoulas | Yakuside: Petros Salatas
Offizieller Standesbeamter: Christos Lazos | Die Mutter von Cio-Cio-San: Vassiliki Petroyanni
Tante: Vaia Kofou | Cousine: Vicky Athanassiou

Mit dem Orchester und Chor der Griechischen Nationaloper

 

Kartenpreise: 25 €, 45 €, 55 €, 60 €, 85 €, 100 €
Studierende, Kinder: 15 € / Menschen mit Einschränkungen: 15
Vorverkauf: GNO Box Office, Athens Epidaurus Festival Box Offices & online über aefestival.gr & viva.gr

Produktionssponsoren MYTILINEOS Energy & Metals und EUROBANK

Hauptsponsor des GNO & Produktionssponsor: Die Stavros Niarchos Stiftung (SNF)

Foto: M. Asthenidis
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