Musikalischer Tsunami: Beethoven und Méhul

Auf ihrer neuen Einspielung vereinen François-Xavier Roth und Les Siècles Beethovens berühmte Sinfonie Nr. 3 „Erocia“ und Étienne Nicolas Méhuls Ouvertüre zur Oper „Les Amazones“. VÖ am 23. April bei harmonia mundi

Francois-Xavier Roth & Les Siècles

 

Seit François-Xavier Roth 2003 mit Musikern aus seiner französischen Heimat das Originalklang-Ensemble Les Siècles gründete, setzen Dirigent und Orchester mit ihrem differenzierten, unverwechselbaren Klang ein Zeichen. Auf ihrer Forschungsreise durch Beethovens Sinfonien widmen sie sich diesmal der Eroica und stellen damit wieder einmal ihre Fähigkeit, aus bekannten Werken etwas völlig Neues herauszuholen, unter Beweis: So stellen sie Beethovens berühmter Sinfonia eroica die Ouvertüre zu „Les Amazones“ von Étienne Nicolas Méhul gegenüber und ordnen sie in den Kontext des damaligen Europas ein. »Es ist das reinste Vergnügen, Beethoven mit den Mitgliedern von Les Siècles zu feiern, denen viel daran liegt, die heroische und französische Seite des großen Komponisten und seiner Zeit herauszustellen«, erzählt Roth über die Aufnahme, die am 23. April bei harmonia mundi erscheint.

 

»Beethovens Dritte steht innerhalb der Gattung für einen radikalen Wandel. Sie läuft mit einer Unerbittlichkeit und in einer überschäumenden Art ab, wie das bis dahin unbekannt war.«

François-Xavier Roth

 

Musikalische Dimensionen, die die Regeln sprengen

Beethovens dritte Sinfonie, die Sinfonia eroica, wird heute als Grundstein der großen klassisch-romantischen Sinfonie-Gattung betrachtet. Die damalige Kritik reagierte jedoch zunächst mit Unverständnis auf die Wagnisse, die sie einging. Genau diese sind es jedoch, was François-Xavier Roth an dem Werk so schätzt: »Sie ist ein musikalischer Tsunami. Allein ihre Dimensionen sind neu: Fünfzig Minuten, das ist eigentlich verboten! Beethoven sprengt die geltenden Regeln, aber er schafft sie nicht ab, sondern richtet sie neu aus.«

 

Authentischer Klang durch historische Instrumente

Während sich in den meisten Orchestern weltweit die Nutzung von modernen Instrumenten für das Repertoire verschiedener Jahrhunderte durchgesetzt hat, schaffen Roth und sein Ensemble mit der konsequenten Verwendung von historischen Instrumenten einen neuen Zugang zu Werken aller Epochen. Auch Beethovens Musik profitiert von dieser spezifischen Spielweise: »Auf modernen Instrumenten die Coda oder die letzte Variation des Finales mit sforzando zu spielen, ist schrecklich«, so Roth. »Da fehlt der Schwung, das kommt so schwer daher, dass man Tricks anwenden muss, um die Wirkung eines Akzents im Kanon zur Geltung zu bringen. Und Beethovens Tonarten – exotisch für seine Zeit – verströmen auf alten Instrumenten gespenstisch schillernde Klangfarben, während sie auf modernen Instrumenten alle gleich klingen.« So machen Les Siècles die Klangvorstellungen Beethovens authentisch nachvollziehbar und werfen gleichzeitig ein neues Licht auf ein altbekanntes Werk.

 

Französische Expressivität

Die Eroica wird häufig mit Frankreich und Napoleon assoziiert – um die Widmung und Beethovens ambivalentes Verhältnis zu Napoleon ranken sich zahlreiche Anekdoten.

 

»Man kennt die Faszination des Komponisten für die humanistischen, utopistischen Ideale der Französischen Revolution und für Napoleon Bonaparte, den er als 'Retter der Revolution' betrachtet hatte, bevor ihn dessen Entgleisungen tief enttäuschten. Beethoven träumte sogar davon, nach Paris zu ziehen, in die Stadt, die für ihn das Symbol für den Aufstand eines ganzen Volkes war.«

François-Xavier Roth

 

Für Roth ist es daher von besonderem Interesse, Beethovens Musik der eines französischen Zeitgenossen gegenüberzustellen. Étienne Nicolas Méhul, sieben Jahre älter als Beethoven, braucht den Vergleich mit seinem Zeitgenossen nicht zu scheuen. Obgleich dem breiten Publikum allenfalls sein Name bekannt ist, gilt er als einer der wichtigsten Komponisten der Revolutionszeit, als erster französischer Romantiker und Wegbereiter für Berlioz. Die Ouvertüre zu seiner Oper „Les Amazones“ zeigt Méhul als einen Vorreiter in seinem Streben nach einer besonderen Expressivität, so entsteht innerhalb der ersten Akkorde eine Atmosphäre voller Spannung und Dramatik, der man sich nicht entziehen kann.

»Man findet bei Beethoven keinen Méhul, ihre Orchesterapparate sind verschieden, und sie unterscheiden sich auch in ihrem sinfonischen Duktus. Doch entwickelte Méhul eine erfinderische Eigenart, die Beethoven interessierte, vor allem diese Art des Umgangs mit dem Orchester, die Brüche, die von humanistischem Schwung beseelte Musik – hier treffen sich die beiden«, erzählt Roth über die Verbindung der beiden Komponisten. Letztes Jahr hatten Roth und Les Siècles bereits Beethovens Fünfte Sinfonie dem Werk seines französischen Zeitgenossen François-Joseph Gossec gegenübergestellt. Mit der neuen Aufnahme setzen sie ihr Projekt, Beethoven im Kontext des damaligen Europas zu zeigen, bei harmonia mundi fort.

 

Album Cover

 

François-Xavier Roth & Les Siècles: Deutschland-Termine 2021

  •      28. August, Die Glocke Bremen: Mozart
  •      12./13. September: Musikfest Berlin: Strawinsky
  •      17. Oktober: Kölner Philharmonie: Debussy
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