Saisonstart Griechische Nationaloper: Iphigénie en Aulide & Iphigénie en Tauride von Dmitri Tcherniakov kommt nach Athen

Die Griechische Nationaloper eröffnet die Spielzeit 2024/25 mit einer internationalen Koproduktion mit dem Festival d‘Aix-en-Provence und der Opéra national de Paris. Als einer der Höhepunkte der diesjährigen Festivalsaison wurde die Produktion im Sommer in Aix-en-Provence aufgeführt und hat die internationale Presse und das Publikum dort bereits begeistert. Der renommierte russische Regisseur, Dmitri Tcherniakov, wird Glucks zwei Opern über die Antike, Iphigénie en Aulide und Iphigénie en Tauride, nun erstmals in Athen in einer Doppelvorstellung präsentieren. Premierenabend ist am 10. Oktober 2024 mit sieben folgenden Vorstellungen im Stavros-Niarchos-Saal des SNFCC. Diese Produktion wird durch einen Zuschuss der Stavros Niarchos Foundation (SNF) [www.SNF.org] ermöglicht, um die künstlerische Reichweite der Griechischen Nationaloper zu erhöhen.

Die Inszenierung, die „der Blutspur der Folgen des Krieges, dem Tribut an die Toten, dem tiefen Trauma, der Amputation des Fleisches und dem Zerreißen der Seele folgt“ (Le Monde), erlebte im Juli beim Festival d‘Aix-en-Provence in Südfrankreich eine außerordentlich erfolgreiche Premiere und begeisterte das Publikum, das sie mit langanhaltenden stehenden Ovationen belohnte. In der Rezension der New York Times heißt es: „Die bitter-melancholische Inszenierung spiegelte Glucks Nüchternheit wider […] – eine grüblerische Reflexion über die Gefühllosigkeit endloser Konflikte.“ Ihr Erfolg und ihre weltweite Wirkung werden durch die Nominierung von Tcherniakovs Iphigénien in der Kategorie „Beste neue Opernproduktion“ bei den International Opera Awards 2024 bestätigt. Die Preisverleihung findet am 2. Oktober in München statt.

Die Doppelvorstellung der beiden Opern von Christoph Willibald Gluck soll den Kern des Fluchs der Atreiden beleuchten, der einen nicht enden wollenden Kreislauf der Gewalt hervorruft. Wie wird das Opfer in Aulis zum Henker in Tauris? Dies ist die erschütternde Frage, die sich Dmitri Tcherniakov stellt, als er versucht, die Antworten in einem Familienherd zu finden, der von seinen Toten heimgesucht wird, und zwar durch einen sich unaufhaltsam entwickelnden Prozess der Entmenschlichung mit modernen Implikationen. Zur Veranschaulichung des tragischen Schicksals des Atreides-Mythos, der häusliche Gewalt zu einer universellen Erfahrung gemacht hat, wählt Tcherniakov ein zeitlich unbestimmtes Haus als Bühnenbild – eine Struktur, die mal undurchsichtig und mal absolut transparent erscheint.

Iphigénie en Aulide und Iphigénie en Tauride – zwei der bedeutendsten Opern des Klassizismus, die im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts geschrieben wurden – führten dazu, dass Christoph Willibald Gluck zum „Reformator“ der Oper wurde. Die beiden Stücke entfernen sich von der Welt der barocken Opera seria, die sich durch ausgedehnte eigenständige Arien und ausgeschmückte musikalische Kompositionen auszeichnet, mit denen berühmte Interpreten ihr Können zur Schau stellten. Gluck führte einen neuen, dramatischen Stil ein, bei dem das Libretto und seine Aussprache von großer Bedeutung sind. Seine Werke bestehen aus größeren musikalischen Sätzen, da die Musik nahtlos von einem Satz zum nächsten übergeht. Das Orchester spielt eine größere Rolle, da es nicht nur die Stimmen begleitet, sondern auch die Bedeutung des Textes beleuchtet und die Emotionen der Hauptfiguren hervorhebt.

Die beiden Opern basieren nicht direkt auf den Werken von Euripides, sondern auf französischen Texten aus dem 18. Jahrhundert: Racines Iphigénie en Aulide und Claude Guymond de la Touches Iphigénie en Tauride. Gluck komponierte Iphigénie en Aulide, ohne einen Auftrag erhalten zu haben, konnte sie aber dennoch 1774 in Paris aufführen und hatte damit großen Erfolg. Der Komponist schuf zahlreiche weitere Opern für die französische Hauptstadt, bevor er sich der Iphigénie en Tauride zuwandte, die 1779 uraufgeführt und zum großen Erfolg wurde – vielleicht dem größten, den Gluck je hatte. Man sprach von der Geburt eines „neuen Genres“ (genre neuf).

Es ist das erste Mal, dass die Griechische Nationaloper Iphigénie en Aulide aufführt. Im Gegensatz dazu wurde Iphigénie en Tauride am 2. Oktober 1946 im Odeon des Herodes Atticus unter der Leitung von Antiochos Evangelatos und der Regie von Kimonas Triantafyllou uraufgeführt. Aber warum sollten wir die beiden Iphigénien jetzt aufführen? „Weil der Krieg wieder einmal vor der Tür steht. Weil wir wichtige Texte brauchen, um uns von der erschreckenden Gegenwart zu lösen und über unsere bedrohliche Zukunft nachzudenken. Weil das tragische Schicksal des Hauses Atreus – vor und nach dem dramatischen Ausbruch des Trojanischen Krieges – eine bleibende und universelle Lehre für die Menschheit ist“, wie Giorgos Koumendakis, der künstlerische Leiter der GNO, anmerkt.

Dmitri Tcherniakov gilt als einer der einflussreichsten Regisseure unserer Zeit. Er wurde mit den renommiertesten Opernpreisen ausgezeichnet, nicht nur für seine Regie, sondern auch für seine szenische Arbeit. Er ist außerordentlich produktiv und inspiriert und hat für alle seine Inszenierungen, die an verschiedenen Spielstätten auf der ganzen Welt aufgeführt wurden, begeisterte Kritiken erhalten, darunter am Mariinsky- und am Bolschoi-Theater, an den Staatsopern von Berlin, Bayern und Wien, an der Mailänder Scala, an der Opéra national de Paris, an der English National Opera, der New Yorker Metropolitan Opera, den Festspiele von Bayreuth und Aix-en-Provence und vielen mehr. Er arbeitet eng mit einigen der besten Dirigenten unserer Zeit zusammen, wie Teodor Currentzis, Daniel Barenboim, Kent Nagano, Philippe Jordan, Alain Altinoglu und anderen. „Meine erste, fast kindliche Faszination für die Oper galt einer alten Vinylplatte von Iphigénie en Aulide, der einzigen Aufnahme von RDA, die ich Mitte der 1980er Jahre in Moskau finden konnte. Es handelte sich um die Aufführung einer von Richard Wagner neu arrangierten Fassung, die in den 1970er Jahren mit Anna Moffo, Trudeliese Schmidt und Dietrich Fischer-Dieskau aufgenommen wurde. Ιch hörte sie mir so lange an, bis sie zerkratzt war und ein unerträgliches Rauschen von sich gab. Und jetzt, etwa vierzig Jahre später, kommen die Iphigénies zu mir zurück“, sagt der Regisseur in einem Interview mit Timothée Picard (Festival  d‘Aix-en-Provence).

Die Dramaturgie trägt die Handschrift von Tatiana WerestchaginaElena Zaytseva ist für die Kostüme und Gleb Filshtinsky für die Beleuchtung verantwortlich. Das Orchester der Griechischen Nationaloper wird von dem renommierten deutschen Dirigenten und Dozenten Michael Hofstetter geleitet, der zum ersten Mal mit der GNO zusammenarbeitet. Er ist seit Januar 2020 künstlerischer Leiter der Internationalen Gluck-Festspiele in Nürnberg und arbeitet nun schon mehr als dreißig Jahre mit verschiedenen Opernhäusern und Musikfestivals auf der ganzen Welt zusammen.

Tcherniakov, bekannt für seine konsequente Leitung der Bühnenperformance der Sänger:innen und sein Beharren darauf, bei der Besetzung das erste und letzte Wort zu haben, hat die  amerikanische Sopranistin Corinne Winters ausgewählt, um beide Iphigénien zu singen – eine einzigartige stimmliche und szenische Herausforderung.  „Sie gehört zu den wenigen zeitgenössischen Sänger:innen, die absolut furchtlos sind. Und was Corinne einzigartig macht, ist ihre Fähigkeit, auf der Bühne eine gewisse Elektrizität zu erzeugen. Mit tausend Volt. Sie erzeugt eine ständig brennende Flamme, die aus dem Inneren jeder der von ihr verkörperten Figuren entspringt“, sagt Tcherniakov in einem Interview mit Timothée Picard für das Festival d‘Aix-en-Provence. Die berühmte Sopranistin hat über dreißig Rollen an den renommiertesten Opernhäusern der Welt gesungen. Ihre Darbietung als Káťa Kabanová bei den Salzburger Festspielen wurde weltweit mit Preisen wie dem International Classical Music Award und dem Preis für die beste Opern-DVD ausgezeichnet. Für ihre Darbietung der Iphigénien wurde sie bereits beim Festival d‘Aix-en-Provence mit stehenden Ovationen gefeiert. Neben ihr werden weitere international gefeierte Opernprotagonist:innen zu sehen sein, darunter der griechische Bariton und Leiter des Städtischen Musiktheaters Olympia „Maria Callas“ (Athen) Tassis Christoyannis (Agamemnon), die französische Sopranistin Véronique Gens (Clytemnestre), der griechische Bariton Dionysios Sourbis (Oreste), die französischen Sänger Alexandre Duhamel (Thoas) und Stanislas de Barbeyrac (Pylade) sowie der englische Tenor Anthony Gregory (Achille). Etablierte und aufstrebende Opernsänger:innen, darunter Nikolas Douros, Petros Magoulas, Maria Mitsopoulou, Georgios Papadimitriou und Soula Parassidis, vervollständigen die hervorragende Besetzung. Agathangelos Georgakatos wird den GNO-Chor dirigieren.

Oper im Doppelpack – Neue Produktion

Iphigénie en Aulide & Iphigénie en Tauride
Christoph Willibald Gluck
10., 13., 16., 19., 22., 27., 30. Oktober 2024
Stavros-Niarchos-Saal der Griechischen Nationaloper – SNFCC
Eine Koproduktion mit dem Festivald d‘Aix-en-Provence und der Opéra national de Paris

Dirigent: Michael Hofstetter
Regie, Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Dramaturgie: Tatjana Werestchagina
Kostüme: Elena Zaytseva
Beleuchtung: Gleb Filshtinsky
Action Design und Stuntkoordination: Ran Arthur Braun
Chorleiter: Agathangelos Georgakatos

Iphigénie en Aulide 
Αgamemnon: Tassis Christoyannis
Clytemnestre: Véronique Gens
Iphigénie: Corinne Winters
Achille: Anthony Gregory
Patrouille: Nikolas Douros
Kalchas: Petros Magoulas
Arkas: Georgios Papadimitriou
Diane: Soula Parassidis

Iphigénie en Tauride 
Iphigénie: Corinne Winters
Thoas: Alexandre Duhamel
Oreste: Dionysios Sourbis
Pylade: Stanislas de Barbeyrac
Eine Priesterin: Maria Mitsopoulou
Diane: Soula Parassidis
Ein Skythen / Ein Diener des Heiligtums: Georgios Papadimitriou

Mit dem Orchester und dem Chor der Griechischen Nationaloper

Dauer der Aufführung von Iphigénie en Aulide: ca. 1 Stunde und 50 Minuten
Pause: 55 Minuten
Spieldauer von Iphigénie en Tauride: ca. 1 Stunde und 50 Minuten

Sponsor der Produktion: PPC
Hauptsponsor der GNO & Produktionssponsor: Die Stavros Niarchos Foundation (SNF)

Fotos: Monika Rittershaus

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