Sarrusophon und Kuckucksrufe

François-Xavier Roth und das Originalklang-Ensemble Les Siècles verbinden auf ihren neuen Album Maurice Ravels Bolero und seinen Einakter L'Heure Espagnol. Es erscheint am 16. Juni bei harmonia mundi.

Die Frage darf gestellt werden: Braucht man wirklich noch die x-te Aufnahme des Boleros? Und diese Antwort muss gegeben werden: Die von François-Xavier Roth und seinem Originalklang-Ensemble Les Siécles, die am 16. Juni bei harmonia mundi herauskommt, auf jeden Fall. Denn mit dieser Aufnahme können die Hörer:innen quasi eine Zeitreise antreten und die Musik von Maurice Ravel so hören, wie sie der Komponist selbst vorgesehen hat. Les Siècles spielen nach der neuen kritischen Ausgabe und benutzen Originalinstrumente: das heißt z. B. metallenes Sarrusophon statt Kontra-Fagott aus Holz, Trommel [tambour] statt Militärtrommel/kleine Trommel [caisse claire] – nicht gespielt von einem, sondern dialogisch von zwei Schlagzeugern!, gegen Ende erklingen Kastagnetten. Statt sich auf Klischees zu verlassen, erforscht das Ensemble also die subtilen Facetten des Boleros und liefert ein ganz neues (oder ganz altes?), in jedem Fall frisches Klangerlebnis. Dazu sagt François-Xavier Roth: „Man kann hier also, wie ich hoffe, ein Werk, das man auswendig zu kennen glaubt, in vielerlei Hinsicht neu entdecken.“

Kombiniert wird das bestbekannte Werk von Ravel, mit einem weniger häufig gespielten, ganz konträren Bühnenwerk, nämlich mit der einaktigen Oper L’Heure Espagnol. Diese Oper, angesiedelt im von Ravel so oft musikalisch bearbeiteten Spanien, erzählt die Geschichte von Concepción. Sie ist eine von ihrem Gatten gelangweilte Ehefrau, die versucht, ihre amourösen Abenteuer zu organisieren, während ihr Ehemann, der Uhrmacher Torquemada, mit seiner Arbeit beschäftigt ist. Die Handlung ist schnell verstanden, umso einfallsreicher, origineller und geistreicher klingt dieses kleine Meisterwerk. In den Stimmen überwiegt der quasi-parlando Stil – der für die damalige französische Opernbühne vollkommen neu war –, und sie sind geprägt von Vokalisen, Glissandos und Portamentos. Auch in der Instrumentierung findet sich viel Witz. Schon in den ersten Takten schafft das geräuschvolle Durcheinander der verschiedenen Uhren und der Kuckucksrufe eine komische Atmosphäre. François-Xavier Roth sagt über das Stück: „L’Heure espagnole mutet wie eine humoristische Betrachtung der Gattung der Opéra bouffe an. Es ist nur meine persönliche Intuition, aber ich glaube, Ravel suchte nach der Wucht von Debussys Pelléas et Mélisande 1902 nach einem völlig anders gearteten Mittel, um im Opernbereich neue Wege zu erschließen. Seine Antwort darauf musste also einen Gegensatz zu Pelléas bilden, und L’Heure espagnole ist tatsächlich genau das Gegenteil davon.“

Die Veröffentlichung dieses Albums eröffnet Ravel-Fans genauso wie Neuentdecker:innen die Chance, die Nuancen seiner Musik zu erkunden. Sie unterstreicht ebenfalls die kontinuierliche Suche von Les Siècles und ihrem Dirigenten nach neuen Möglichkeiten, die Klassische Musik neu zu verstehen, um mit Klischees zu brechen.

20 Jahre Les Siècles

Mit zwei Konzerten in Paris feierten François-Xavier Roth und Les Siècles den Auftakt zu einem Jubiläumsjahr voller Highlights und Festlichkeiten. Dieses Jahr blicken sie nicht nur auf 20 Jahre historisch informierter Aufführungspraxis, gefeierter Aufnahmen und musikalischer Entdeckungen zurück, sondern stellen in verschiedensten Konzerten und Opern auch die ganze Bandbreite ihrer wegweisenden Interpretationen dar. So sind Roth und das Originalklang-Ensemble u.a. in Linz mit einem Programm aus Berlioz und Stravinsky, im Barbican London mit Boulanger und Ravel; und in Paris mit dem Fliegenden Holländer zu hören.

www.lessiecles.com


Maurice Ravel:
Bolero & L’Heure Espagnol
VÖ: 16. Juni, Harmonia Mundi

Les Siècles
François-Xavier Roth

Isabelle Druet – Concepción
Julien Behr – Gonzalve
Loïc Félix – Torquemada
Thomas Dolié – Ramiro
Jean Teitgen – Don Iñigo Gomez

Foto: Cyprien Tollet

 

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