Starker Auftakt im neuen Jahr an der Griechischen Nationaloper
Zwei Neuproduktionen feiern im Januar Premieren: Am 25. stehen „Pagliacci“/„Cavalleria Rusticana“ mit Ekaterina Gubanova auf dem Programm, die in Mascagnis Einakter als Santuzza debütiert. Außerdem dabei: Dimitri Platanias, Arsen Soghomonyan, Cellia Costea und Dionysios Sourbis. Die erste Produktion der Alternative Stage für 2024 findet am 19. Januar mit „La ville morte“ statt –, die einzige Oper, die von Nadia Boulanger in Zusammenarbeit mit ihrem Mentor Raoul Pugno komponiert wurde. Es handelt sich dabei um die griechische Erstaufführung und um die weltweit dritte Produktion überhaupt.
Ermöglicht werden die Produktionen durch die finanzielle Unterstützung der Stavros Niarchos Foundation (SNF) zur Förderung und Erweiterung der künstlerischen Reichweite der Griechischen Nationaloper.
Es ist eines der geheimnisvollsten Werke des 20. Jahrhunderts: die Oper La ville morte – die einzige Oper, die jemals von Nadia Boulanger mit ihrem Mentor Raoul Pugno komponiert wurde. Auf der Alternative Stage der GNO wird sie erstmals in Griechenland, 110 Jahre nach ihrer Entstehung, zu sehen sein. Für die erst dritte Produktion weltweit arbeitete die GNO gemeinsam mit dem amerikanischen Ensemble Catapult Opera. Die Koproduktion umfasst Aufführungen zwischen dem 19. und 28. Januar 2024, bevor sie am 19. April ihre Premiere in New York feiert.
La ville morte basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück des berüchtigten italienischen Dichters Gabriele D’Annunzio, der auch das Libretto der Opernadaption verfasst hatte: Es erzählt die tragische, sehr spezielle Geschichte einer dekadenten, inzestuösen erotischen Obsession vor dem Hintergrund der Ausgrabung der Ruinen der antiken Stadt Mykene. Es geht um die zerstörerische Kraft der Besessenheit und des Begehrens zwischen vier Personen: der jungen Hébé, ihrem Bruder – dem Archäologen Léonard, seinem Freund – dem Dichter Alexandre und dessen blinder Frau. Diese kühne Oper mit einer Musik, die an die Ausdruckspalette von Debussys Pelléas et Mélisande anknüpft, wurde wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs seinerzeit nie aufgeführt, geplant war die erste Aufführung indes für 1914 an der Opéra-Comique in Paris.
Erst 2005 wurde das Werk beim Festival der Accademia Musicale Chigiana in Siena in einer neuen Orchestrierung uraufgeführt, wobei der einzige Akt der Partitur, der nach einem Brand in einem Lagerraum gerettet werden konnte und unversehrt blieb, als Vorlage diente. Eine zweite konzertante Aufführung fand im März 2020 an der Oper von Göteborg in Schweden statt. Nun beauftragte die Catapult Opera die Komponisten Joseph Stillwell und Stefan Cwik, das Werk mit Unterstützung von David Conte, einem der letzten Schützlinge Boulangers, neu zu instrumentieren, und zwar auf der Grundlage eines kürzlich entdeckten Klavierauszugs der Orchesterpartitur. Diese neue ehrgeizige Opernproduktion steht unter der musikalischen Leitung von Neal Goren, dem Gründer und künstlerischen Leiter von Catapult Opera, und der Regie von Robin Guarino.
Nadia Boulanger: Größte Musikpädagogin des 20. Jahrhunderts?
Nadia Boulanger (1887-1979) gilt als eine der bedeutendsten Frauen der Musikgeschichte. Sie unterrichtete eine Reihe berühmter Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Aaron Copland, Leonard Bernstein, Astor Piazzolla und Philip Glass. Obwohl sie am Pariser Konservatorium Komposition studierte, waren ihre Werke lange kaum bekannt, und sie hörte im Alter von 35 Jahren nach dem Tod ihrer Schwester Lili, einer ebenso begabten Komponistin, und ihres Mentors Raoul Pugno praktisch auf zu komponieren. Diese tragischen Ereignisse in Verbindung mit der offenkundig sexistischen Atmosphäre einer Epoche, die sie als „Komponistin“ herabsetzte, scheinen Boulangers Selbstwertgefühl als Schöpferin einen fatalen Schlag versetzt zu haben. Das Interesse an ihrem kompositorischen Schaffen – über ihre Aufführungstätigkeit und ihre Talente als Musikpädagogin hinaus – ist in den letzten Jahrzehnten auf der ganzen Welt jedoch stark gestiegen.
Boulanger hatte das Glück, als erste Frau auf dem Podium des Royal Philharmonic Orchestra in London, des Boston Symphony Orchestra, des New York Philharmonic Orchestra und des Philadelphia Symphony Orchestra zu stehen. Auf die hartnäckige Frage, ob sich ihr Geschlecht auf ihr Dirigat auswirke oder nicht, antwortete sie stets mit derselben kategorischen Antwort: „Ich glaube nicht, dass das Geschlecht etwas mit dem Dirigieren zu tun hat.“
La ville morte – Nadia Boulanger/ Raoul Pugno
Premiere am 19. Januar 2024
Weitere Termine: 21., 24., 26., 28. Januar
Griechische Nationaloper: Alternative Stage
Stavros Niarchos Foundation Cultural Center (SNFCC)
Beginnt um: 20.30 Uhr (sonntags 19.30 Uhr)
Musikalische Leitung: Neal Goren
Regie: Robin Guarino
Bühne: Andromache Chalfant
Kostüme: Candice Donelly
Licht: Jessica Ann Drayton
Melissa Harvey (Sopran)
Laurie Rubin (Mezzo)
Joshua Dennis (Bariton)
Jorell Williams (Tenor)
Instrumentalensemble: Marilena Dori (Flöte/Piccolo), Maria Sifnaiou (Oboe), Ilias Skordilis (Klarinette), Julia Babe (Fagott), Filippos-Marios Spatalas (Horn), Spyros Souladakis (Klavier), Dionisis Vervitsiotis (Violine Ι), Vanessa Athanasiou (Violine ΙΙ), Jannis Athanasopoulos (Bratsche), Fabiola Ojeda (Cello), Yorgos Arnis (Kontrabass).
Gründungssponsor der Alternative Stage: Stavros Niarchos Foundation
Sponsor der Alternative Stage: PPC
Cavalleria rusticana („Rustikales Rittertum“) und Pagliacci („Clowns“), diese beiden Spitzenwerke der Bewegung, die als „Verismo“ in die Geschichte einging (vom italienischen Wort „vero„, das „wahr“ bedeutet) und den Realismus in der italienischen Oper zum Ausdruck bringt, bilden bis heute die populärste Doppelvorstellung in der Geschichte der Oper und ist zwischen dem 25. Januar und 11. Februar 2024 im Stavros-Niarchos-Saal der Griechischen Nationaloper zu erleben.
Cavalleria rusticana gewann 1890 den Wettbewerb für einaktige Opern des italienischen Musikverlegers Edoardo Sonzogno. Zwei Jahre später wurde Pagliacci – eine Oper in zwei Akten mit einem Prolog – in Mailand unter der Leitung von Arturo Toscanini mit sofortigem Erfolg aufgeführt. Die Arie „Vesti la giubba“ („Zieh das Kostüm an“, die den Satz „ridi, pagliaccio“ – „lache, Clown“ – enthält) erlangte dank des legendären Tenors Enrico Caruso Weltruhm und ist bis heute ein Synonym für die Oper als Kunstform. Diese beiden kurzen Opern, die sich von der Inbrunst und den hochtrabenden Idealen der romantischen Opern distanzieren, erzählen von den Leidenschaften gewöhnlicher Menschen, die in Süditalien leben. Die leidenschaftliche Intensität ihrer Musik – die das Drama nur noch steigert und die Emotionen vertieft – hat auch diesen Opern eine Zeitlosigkeit verliehen, die seit ihrer Uraufführung zum Kernrepertoire der Opernhäuser in aller Welt gehören.
„Niemals hat so viel Blut so viel Beifall geerntet“
Nikos Karathanos, der als einer der bedeutendsten Theaterregisseure Griechenlands gilt, wurde von der Griechischen Nationaloper ausgewählt, um die neue Produktion von Cavalleria rusticana und Pagliacci zu inszenieren. Mit dieser Inszenierung gibt Karathanos sein Debüt in der Repertoire-Oper und versucht, durch seinen ausgeprägten poetischen und zugleich realistischen Stil eine neue Lesart dieser beiden prominenten Verismo-Werke zu bieten. Er bemerkt: Niemals hat so viel Blut so viel Beifall geerntet. Nie hat ein Verbrechen eine solche Musik getragen – der legendäre Caruso konnte sich dieser Musik nicht entziehen, aber auch nicht Coppola und sein Pate, oder Scorsese, oder die Mafia selbst… In der Tat, keiner von uns konnte sich ihr entziehen! Niemand – ob arm, groß oder dick, klein oder reich – kann sich der Vorstellung entziehen, dass sie es sind, die „Vesti la giubba“ singen.
Das Bühnenbild und die Kostüme der Inszenierung stammen von dem renommierten britischen Designer Leslie Travers, der das Publikum bereits mit seinem Bühnenbild für die jüngste GNO-Produktion von Bluebeard’s Castle beeindruckt hat. Das Ergebnis der Zusammenarbeit von Karathanos und Travers ist eine beeindruckende Bühnenwelt voller österlichem Frühlingslicht sowie farbenfrohe Kostüme, die den Wahnsinn des Lebens und die poetische Dimension des Träumens widerspiegeln.
Ekaterina Gubanova debütiert als Santuzza
Das Publikum wird die Gelegenheit haben, Opernsänger:innen von Weltrang zu erleben: Ekaterina Gubanova, eine der größten Mezzosopranistinnen ihrer Generation, wird endlich ihr mit Spannung erwartetes Debüt als Santuzza in Cavalleria geben, nachdem sie zuletzt 2019 am GNO in Don Carlo zu hören war. Der griechische Bariton Dimitri Platanias wird als Alfio in Cavalleria und als Tonio in Pagliacci auftreten, zwei Rollen, die er mit großem Erfolg gesungen hat und für die er nicht nur an der Griechischen Nationaloper, sondern auch am Royal Opera House, bei den Salzburger Festspielen, im La Monnaie in Brüssel und an der San Francisco Opera begeisterte Kritiken erhielt. In seiner ersten Zusammenarbeit mit der Griechischen Nationaloper wird der gefeierte Tenor Arsen Soghomonyan sein Debüt in der Rolle des Turiddu in Cavalleria geben und außerdem als Canio in Pagliacci auftreten. Nach seinem großen Erfolg als Otello unter der Leitung von Zubin Mehta in Berlin gilt Soghomonyan als einer der gefragtesten dramatischen Tenöre der Welt. Cellia Costea, Sopranistin des GNO, wird die Rolle der Nedda in Pagliacci übernehmen, eine Rolle, die sie mit großem Erfolg im Odeon des Herodes Atticus, im Theater San Carlo in Neapel und im Teatro Lirico di Cagliari in Sardinien gesungen hat. Der gefeierte Bariton des GNO Dionysios Sourbis wird als Silvio in Pagliacci auftreten, eine Rolle, die er bereits am Royal Opera House in London, an der Oper von Rom und an der Griechischen Nationaloper gespielt hat. Die Produktion wird vom italienischen Dirigenten Antonello Allemandi in seiner ersten Zusammenarbeit mit der Griechischen Nationaloper geleitet. Seit seinem Debüt mit nur 21 Jahren hat er bis heute an führenden Opernhäusern wie der New Yorker Metropolitan Opera, dem Royal Opera House in London, der Wiener Staatsoper, der Berliner Staatsoper, der Pariser Oper, der Mailänder Scala, dem Teatro Real in Madrid usw. dirigiert.
Cavalleria rusticana – Pietro Mascagni & Pagliacci – Ruggero Leoncavallo
Premiere der Neuproduktion am 25. Januar 2024
Weitere Termine: 28. Januar sowie 1., 4., 8. und 11. Februar
Beginnt um: 19.30 Uhr (Sonntag: 18.30 Uhr)
Stavros-Niarchos-Saal der Griechischen Nationaloper – SNFCC
Dirigent: Antonello Allemandi
Regisseur: Nikos Karathanos
Dramaturgie: Angelos Triantafyllou
Bühne, Kostüme: Leslie Travers
Choreografie: Αmalia Bennett
Licht: Ben Pickersgill
Chor: Agathangelos Georgakatos
Leiterin des Kinderchors: Konstantina Pitsiakou
Cavalleria Rusticana
Santuzza: Ekaterina Gubanova
Lola: Diamanti Kritsotaki
Turiddu: Arsen Soghomonyan
Alfio: Dimitri Platanias
Lucia: Julia Souglakou
Eine Stimme: Penny Rizou
Pagliacci
Nedda: Cellia Costea
Canio: Arsen Soghomonyan
Tonio: Dimitri Platanias
Beppe: Yannis Kalyvas
Silvio: Dionysios Sourbis
Ein Bauer: Theodoros Aivaliotis
Ein weiterer Bauer: Philippos Dellatolas
Mit dem Orchester, dem Chor und dem Kinderchor der Griechischen Nationaloper (im Rahmen ihres Bildungsauftrags)
Hauptsponsor der GNO: Stavros Niarchos Foundation
Produktionssponsor: Prodea Investments
Foto: Andreas Simopoulos