Ungewisse Zukunft für Afghanistans erste und einzige Musikschule
Nach dem Rückzug internationaler Truppen bangt das Afghanistan National Institute of Music um sein Fortbestehen
Mit dem Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan kündigen sich große Umbrüche in der afghanischen Gesellschaft an, nicht zuletzt in der Musikszene. Auch das Afghanistan National Institute of Music (ANIM) – eine Institution, die sich seit 2010 für eine freie und offene Gesellschaft einsetzt – blickt einem ungewissen Schicksal entgegen.
In den Neunzigerjahren, zu Hochzeiten des Taliban-Regimes, verschwand nach und nach die Musik aus Afghanistan. Von der Regierung als „unislamisch“ angeprangert durfte sie weder live noch auf Band gespielt werden, Instrumente wurden zerstört, viele Musizierende verließen aus Angst das Land.
In einer Phase des relativen Friedens gründete der Musikwissenschaftler und Musiker Dr. Ahmad Naser Sarmast deshalb 2010 das Afghanistan National Institute of Music: die erste und einzige Musikschule des Landes, einen Ort des kulturellen und gesellschaftlichen Austauschs und ein Zentrum für progressives Denken.
Seit elf Jahren erhalten dort Kinder aus allen Gesellschaftsschichten in gemischten Klassen Unterricht, der sowohl traditionelle afghanische als auch westliche Musik umfasst. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der musikalischen Ausbildung von Mädchen und jungen Frauen, Waisen und Straßenkindern. Mittlerweile gilt das ANIM als Leuchtturmprojekt des gesellschaftlichen Wandels im Land; zahlreiche Kooperationen mit und Gastspiele bei Institutionen im Ausland – darunter die Carnegie Hall, das British Museum und die schwedische Berwaldhallen – sorgen zudem für die internationale Sicht- und Hörbarkeit afghanischer Kultur. „Das große Anliegen des ANIM ist es, das Recht auf Musik afghanischer Kinder sicherzustellen, musikalische Vielfalt in Afghanistan zu fördern, kulturelle, ethnische, religiöse und Geschlechtergrenzen zu überwinden und so das Leben der jungen Generation in Afghanistan nachhaltig zu verbessern,“ so Dr. Ahmad Naser Sarmast. „Das Musizieren und musikalische Bildungsangebote sind unabdingbar im Wiederaufbau eines vom Krieg erschütterten Landes sowie in der Begründung einer gerechten und zivilen Gesellschaft.“
Mit dem Abzug der Truppen stehen die großen Errungenschaften des ANIM, aber auch das kulturelle Leben in Afghanistan im Allgemeinen vor einer ungewissen Zukunft. Bereits 2014 war die Schule Ziel eines Selbstmordattentats; zwei Menschen starben und auch Dr. Ahmad Naser Sarmast als Zielperson des Anschlags wurde schwer verletzt. Dennoch setzte er seine Arbeit nach der Genesung fort. Sarmasts Sorge gilt nun der Sicherheit seiner Schüler*innen und des Personals.
„Ich rufe zur Zusammenarbeit auf, damit das ANIM und afghanische Musiker*innen ihr Recht auf Musik weiter ausüben können und auch in Zukunft die Freiheit genießen, ihr einzigartiges kulturelles Erbe mit Musikliebhaber*innen aus aller Welt teilen zu können,“ so Dr. Sarmast.
Dr. Sarmast befindet sich derzeit in Melbourne. Weitere Informationen und Materialien zum ANIM gibt es hier, einen Beitrag zu Zohra – dem Frauenorchester des ANIM – auf der Deutschen Welle haben wir hier verlinkt.
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