Weltersteinspielung: Eine (Un)mögliche Sinfonie für ein Unmögliches Orchester
Während der Covid-19-Pandemie, als Konzertsäle und Theater geschlossen waren, beschloss Alondra de la Parra, 28 der weltweit führenden Solist*innen aus unterschiedlichen Orchestern zu versammeln. Das war die Geburtsstunde des Impossible Orchestras, das nun seit 2022 als Orchester in Residence des mexikanischen Festivals PAAX GNP fungiert und dort unter der Leitung de la Parras jeden Juni für 12 Tage ein internationales Publikum mit symphonischen Werken und lateinamerikanischen Musiker*innen an der Riviera Maya begeistert. Aus diesem Anlass gab die Dirigentin bei Arturo Márquez die Sinfonía Imposible in Auftrag, der das Werk wiederum den Solist*innen des Orchesters auf den Leib schrieb. Bereits im ersten Festivaljahrgang feierte das Werk Weltpremiere. Nun veröffentlicht Sony die Komposition erstmals als Album.
Márquez erforscht in seiner Musik unter anderem Themen wie Klimawandel, Resilienz, Migration und die Gleichstellung der Geschlechter. Jedes dieser Themen wird in einem Satz seiner Komposition aufgegriffen. Ihre Botschaft wird – dem Leitmotiv der vier Noten folgend – je nach Konzept des jeweiligen Satzes verändert. Nach Márquez‘ Auffassung erscheint es uns oft unmöglich, sich den großen politischen wie gesellschaftlichen Themen unserer Zeit anzunehmen, weil wir uns als Gesellschaft nicht einig sind. Oder, weil sie uns schlicht nicht interessieren. Der Titel Sinfonía Imposible bezieht sich also auf die Ohnmacht, in der wir uns gerade befinden, wenn es darum geht, wirklich etwas zu verändern.
Alondra de la Parra über „Sinfonía Imposible“:
„Die Sinfonía Imposible zeigt wieder einmal, wie grenzenlos die musikalische Vorstellungskraft von Arturo Márquez ist. Die Art und Weise, wie er sich hier den großen Fragen unserer Zeit nähert, ist in ihrer Bandbreite und Qualität absolut beeindruckend. Man nehme den fünften Satz, „Magicicada“: Márquez ließ sich hier von der ‚Empathie‘ zweier Zikaden-Spezies inspirieren, die ihre Jahres- und Fortpflanzungszyklen aneinander anpassen und deshalb erfolgreich fortbestehen können. In der Musik kreisen als direkte Repräsentanten die Flöte und der Kontrabass umeinander, bis sie sich beim mittleren D treffen – der einzigen Note, die sie gemein haben. Die Geschlechtergleichstellung bot Inspiration für den zweiten Satz, der daran erinnern soll, dass unsere Gesellschaft Frauen aufgrund ihres Geschlechts auch heute noch Tag für Tag vor große Herausforderungen stellt.
Als Sinnbild hierfür bewegen sich je ein Cellist und eine Cellistin im Kanon, allerdings sind die Bedingungen für die Frau erschwert – ihr Part ist oktaviert. Spannend ist in diesem Satz auch die Aufteilung der Streicher*innen: Das divisi ist nach Geschlecht geordnet, nicht wie üblich nach Tonlage. Man kann das Werk also nur aufführen, wenn die Streicher*innen paritätisch besetzt sind. Im sechsten Satz scheinen zwei sture Geigenvirtuos*innen in Konflikt zu treten, obwohl sie eigentlich dasselbe sagen. Im siebten Satz „Utopía mayor“ spielen die Posaunen ausschließlich Dur-Akkorde, um zu hinterfragen, was es bedeutet, glücklich zu sein. Die Sinfonie ist technisch überaus anspruchsvoll und lädt das Publikum dazu ein, über die drängendsten Fragen nachzudenken, die uns heute beschäftigen.“
Eine enge Freundschaft
Die Zusammenarbeit für die Sinfonía Imposible war nicht die erste Gelegenheit, bei der Alondra de la Parra und Arturo Márquez aufeinandertrafen. Vielmehr sind sie seit langer Zeit wichtige musikalische Partner*innen für einander. „Arturo Márquez‘ fantastische Musik gehört definitiv zu meinem Kernrepertoire. Ich glaube, ich habe kein Werk so oft aufgeführt wie Danzón No.2,“ erläutert Alondra de la Parra. Ihre Wege hätten sich in Mexiko immer wieder gekreuzt, unter anderem, als sie 2004 das Philharmonic Orchestra of the Americas gegründet habe, aber besonders eng sei die Freundschaft während der Pandemie geworden. Die erste Musik, die de la Parra mit ihrem Impossible Orchestra erarbeitete, war Danzón No. 2. Mit der Aufzeichnung des Stücks sammelten die Dirigentin und das Orchester Geld für Frauen und Kinder in Mexiko, die Opfer von Gewalt geworden waren. Márquez habe sie dabei auf großzügige Weise beraten und unterstützt.
Aufgeführt wurde die Sinfonia Imposible in Europa erstmals 2022 vom Orquesta Sinfónica de Galicia; in Deutschand feierte sie 2023 in Stuttgart Premiere.
Die Aufnahme erscheint in Deutschland als Digitalaufnahme.
ARTURO MÁRQUEZ (1950)
SINFONÍA IMPOSIBLE: LAS PERAS DEL OLMO (2022)
- CAMBIO CLIMÁTICO (PRINCIPIO)
- RESILIENCIA
- EQUIDAD (DE GÉNERO)
- SIN RETORNO (MIGRACIÓN)
- MAGICICADA (EMPATÍA)
- CONTROVERSIA
- UTOPÍA MAYOR
- CAMBIO CLIMÁTICO (FINAL)
Alberto Ginastera (1916-1983)
Variaciones Concertantes, op. 23 (1953)
- Tempa per violoncello ed arpa
- Interludio per corde
- Variazione giocosa per flauto
- Variazione in modo di scherzo per clarinete
- Variazione drammatica per viola
- Variazione canonica per oboe e fagotto
- Variazione ritmica per tromba e trombone
- Variazione in modo di moto perpetuo per violino
- Variazione pastorale per corno