Les Contes d’Hoffmann in Athen

Zeit und Raum zerfallen – Krzysztof Warlikowski inszeniert Les Contes d'Hoffmann an der Griechischen Nationaloper in einer internationalen Koproduktion mit La Monnaie in Brüssel. Premiere ist am 18. Dezember. Die Star-Sopranistin Nicole Chevalier übernimmt die weiblichen Hauptrollen, der britische Tenor-Shooting-Star Adam Smith singt den Hoffmann.

Wie passen Filme wie The Shining, A Star Is Born und Inland Empire mit Les Contes d’Hoffmann von Jacques Offenbach zusammen? Man darf gespannt sein, wenn Krzysztof Warlikowski, einer der führenden Opern- und Theaterregisseure Europas, das Werk an der Griechischen Nationaloper inszeniert. Die drei Filme inspirierten ihn zu seiner Interpretation des Werks. Les Contes d’Hoffmann ist die mit Spannung erwartete neue Koproduktion der Griechischen Nationaloper (GNO) mit La Monnaie in Brüssel, die am 18. Dezember Premiere in Athen feiert. Jacques Offenbachs Meisterwerk wird bis zum 8. Januar in acht Vorstellungen im Stavros-Niarchos-Saal des Stavros Niarchos Foundation Cultural Center (SNFCC) unter der Leitung von Lukas Karytinos aufgeführt. Die weltweit gefeierte dramatische Koloratursopranistin Νicole Chevalier übernimmt die weiblichen Hauptrollen, der aufstrebende britische Tenor Adam Smith singt den Hoffmann. Diese Produktion wird durch eine Förderung der Stavros Niarchos Foundation (SNF) ermöglicht, um die künstlerische Reichweite des GNO zu erhöhen.

 

Nicht alles so, wie es zu sein scheint

Les Contes d’Hoffmann ist eine der populärsten französischen Opern und steht in einer Reihe mit Carmen, Faust und Manon – ein dramatisches Opernwerk mit großartigen Melodien, darunter die berühmte Barcarolle. In Les Contes lässt Offenbach immer wieder seine witzige und spielerische Seite zum Vorschein kommen, und wie in seinen anderen Werken, bleibt er unverschämt melodisch und strotzt vor unerschöpflichem Einfallsreichtum. In diesem Werk zeigt der Komponist einerseits den fröhlichen Geist des Dichters E. T. A. Hoffmann, andererseits lässt er erkennen, dass die Persönlichkeit dieses Dichters nicht das ist, was sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Und obwohl der Komponist stets die Melodie in den Vordergrund stellt, gelingt es ihm mit seiner harmonischen Komposition, das Wesen der Figuren und ihrer Situationen mit großer Präzision zu erfassen.

Das Libretto von Jules Barbier basiert auf Erzählungen des vielseitigen deutschen Schriftstellers und Komponisten E. T. A. Hoffmann, den Barbier zum Protagonisten der Oper machte. Drei Frauenfiguren – der seelenlose Automat Olympia, die schwerkranke Sängerin Antonia und die Kurtisane Giulietta – weisen jeweils bestimmte Eigenschaften auf, die zusammen die Primadonna Stella ergeben, die Frau, in die sich Hoffmann verliebt hat. Die Liebe, die er für jede von ihnen empfindet, wird jeweils von einem älteren Mann zerstört – in drei verschiedenen Persönlichkeiten: Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto –, deren unterschiedliche Charaktereigenschaften von dem wohlhabenden Lindorf verkörpert werden, mit dem Stella am Ende der Oper abreist und Hoffmann in Verzweiflung zurücklässt.

Les Contes d’Hoffmann war die letzte Oper von Jacques Offenbach, die der Komponist bei seinem Tod im Jahr 1880 unvollendet ließ. Das vom Komponisten Ernest Guiraud vollendete Werk wurde bei seiner Uraufführung im Februar 1881 an der Opéra Comique in Paris mit großem Erfolg aufgeführt. Seit der Uraufführung Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 2010, als in den Archiven der Opéra Comique vernichtet geglaubtes Material entdeckt wurde, gab es zahlreiche mühsame und hartnäckige Versuche, die Partitur zu rekonstruieren – zusätzliche Dialoge zu vertonen, neue Abschnitte in das Werk einzufügen oder sogar die Reihenfolge der Akte zu ändern. Was den Epilog des Werks betrifft – von dem nur Entwürfe und Notizen Offenbachs erhalten sind – entscheidet im Wesentlichen jedes Opernhaus selbst, wie das Finale aussehen soll, wobei es aus der Vielzahl der verschiedenen Versionen, die es gibt, auswählen kann.

Das GNO präsentiert die Oper so, wie sie in der jüngsten kritischen Ausgabe des Werks von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck erscheint, in der der Prolog und der Epilog als separate Akte erscheinen, was zu einem fünfaktigen Werk führt. Die endgültige Form des Werks wurde durch die Vorbereitungen für die Aufführung in Brüssel im Jahr 2019 geprägt, die von Krzysztof Warlikowski und dem Dirigenten der La Monnaie-Aufführungen, Alain Altinoglu, durchgeführt wurden.

 

Warlikowski – Neuerfinder der Opernregie

Der mehrfach preisgekrönte Regisseur dieser Produktion, Krzysztof Warlikowski, ist einer der gefragtesten europäischen Regisseure. Neben seiner umfangreichen Arbeit für das Theater – er inszenierte ikonische Werke von Shakespeare und antike griechische Tragödien sowie zeitgenössische Autoren wie Sarah Kane – wurde Warlikowski als einer der wichtigsten Neuerfinder der Opernregie gefeiert. Die Inszenierungen, die er an den bedeutendsten Opernhäusern Europas – Opéra national de Paris, La Monnaie in Brüssel, Teatro Real in Madrid, Bayerische Staatsoper in München und Royal Opera House in London – und bei führenden Festivals wie Aix-en-Provence und den Salzburger Festspielen inszeniert hat, wurden von Kritikern und Publikum gleichermaßen als künstlerische Großereignisse gefeiert, weil er sein Konzept der „Re-Theatralisierung“ der Oper systematisch erforscht hat.

Warlikowskis Inszenierung von Les Contes d’Hoffmann wird von der Tatsache angetrieben, dass dieses Werk von Offenbach eine besonders komplexe Erzählung hat, und von der Erkenntnis, dass sowohl die Partitur als auch das Libretto ohne stabile Struktur sind. Diese Elemente vermitteln dem Regisseur und dem Publikum das Gefühl, dass das Werk für Neuinterpretationen und Neudefinitionen offen ist. In einer Weiterentwicklung seines charakteristischen Regiestils betrachtet Warlikowski die Geschichte dieser Oper durch das Prisma der siebten Kunst und lässt sich dabei von Kinofilmen inspirieren. Die Emanzipation einer rätselhaften und komplexen Frau, die Enttäuschungen eines krisengeschüttelten Autors, die Abhängigkeiten und subjektiven Wahnvorstellungen – alles bietet sich hier für die metatextuelle Erkundung des geheimnisvollen Zusammenspiels von Geschichte und Erzähler, Künstler und Kunstwerk an. Warlikowski enthüllt das Wesen des Werks: Zeit und Raum sind nur Überreste eines zerbröckelten Mosaiks.

Das Bühnenbild und die Kostüme der Inszenierung stammen von Warlikowskis langjähriger Mitarbeiterin Małgorzata Szczęśniak, die ein einzigartiges filmisches Universum erschafft. Die Choreografie stammt von Claude Bardouil, die Beleuchtung von Felice Ross, das Videodesign von Denis Guéguin und die Dramaturgie von Christian Longchamp.

 

Nicole Chevalier und Adam Smith in den Titelrollen

Das Dirigat übernimmt der gefeierte Maestro und künstlerische Leiter des Athener Staatsorchesters Lukas Karytinos. Der GNO-Chorleiter ist Agathangelos Georgakatos. In dieser Neuproduktion von Les Contes d’Hoffmann wird das Publikum die Gelegenheit haben, herausragende Sängerinnen und Sänger aus Griechenland und der ganzen Welt zu sehen und zu hören. Adam Smith – einer der gefragtesten aufstrebenden britischen Tenöre – wird in der ersten Besetzung die Titelrolle singen. Er sang die Rolle des Hoffmann erstmals an der Opéra National in Bordeaux und gastierte mit großem Erfolg u. a. an der English National Opera, beim Glyndebourne Festival, bei den BBC Proms und an den Opernhäusern von Brüssel, Antwerpen und Seattle. In der zweiten Besetzung wird die Titelrolle von dem gefeierten GNO-Tenor Yannis Christopoulos gesungen.

Die dramatische Koloratursopranistin Νicole Chevalier, die in der ersten Besetzung die Rollen der Stella, Olympia, Antonia und Giulietta verkörpern wird, wurde 2016 für ihre Interpretationen der vier weiblichen Hauptrollen von Les Contes d’Hoffmann mit dem Deutschen Faust-Preis für die Inszenierung an der Komischen Oper Berlin ausgezeichnet, deren Mitglied sie fünf Jahre lang war. Im Sommer 2019 wurde sie mit ihrem Auftritt in Mozarts Idomeneo bei den Salzburger Festspielen unter der Regie von Peter Sellars und der Leitung von Teodor Currentzis international gefeiert. Seitdem hat sie an den führenden europäischen Häusern gesungen, wie der Royal Opera House in London, La Monnaie in Brüssel (wo sie die vier weiblichen Hauptrollen von Les Contes d’Hoffmann bei der Premiere der Warlikowski-Produktion 2019 sang), Wien, Hamburg und anderswo. In der zweiten Besetzung werden die vier weiblichen Hauptrollen des Werks von der international gefeierten GNO-Sopranistin Vassiliki Karayanni gesungen.

Die Mezzosopranistinnen Mary-Ellen Nesi und Marisia Papalexiou übernehmen die Rollen von La Muse und Nicklausse. Die Bässe Tassos Apostolou und Petros Magoulas spielen Lindorf, Coppélius, Miracle und Dapertutto. Der Bass Christophoros Stamboglis und der Bassbariton Yanni Yannissis singen die Rollen von Crespel und Luther. Neben ihnen treten die GNO-Solist:innen Margarita Syngeniotou, Anna Tselika, Dionisios Melogiannidis, Andreas Karaoulis, George Mattheakakis, Georgios Papadimitriou, Christos Kechris, Yannis Kalyvas, Panagiotis Priftis, Nikos Katsigiannis, Marinos Tarnanas und Christos Rammopoulos auf.

 

Les Contes d’Hoffmann
Jacques Offenbach

 

18., 20., 22., 28., 29. Dezember & 4., 5., 8. Januar

 

Stavros Niarchos Hall der Griechischen Nationaloper – SNFCC

In Koproduktion mit La Monnaie (Brüssel)

 

Dirigent: Lukas Karytinos

Regie: Krzysztof Warlikowski

Bühne, Kostüme: Małgorzata Szczęśniak

 

Sponsoren: Mytilineos – Eurobank

Weitere Infos finden Sie auf der Produktionsseite der Griechischen Nationaloper hier.

Foto: GNO / Andreas Simopoulos
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