Die (un)mögliche Sinfonie

Gemeinsam mit dem Staatsorchester Stuttgart und Albrecht Mayer präsentiert Alondra de la Parra am 23. und 24. April 2023 in Stuttgart die Deutschlandpremiere der Sinfonía Imposible aus der Feder des mexikanischen Komponisten Arturo Márquez. Erstmals aufgeführt wurde das von Maestra de la Parra in Auftrag gegebene Werk 2022 bei ihrem Festival PAAX GNP in Mexiko. Die Dirigentin, die seit Beginn ihrer Karriere für die Förderung lateinamerikanischer Musik bekannt ist, freut sich, die sehr besondere Sinfonie nun auch vor Publikum in ihrer Wahlheimat Deutschland zeigen zu können.

Alondra de la Parra Collage

Im April geschieht in Stuttgart ein Ding der Unmöglichkeit: die Sinfonía Imposible („unmögliche Sinfonie“) von Mexikos renommiertestem zeitgenössischem Komponisten Arturo Márquez ist erstmals auf deutschem Boden zu hören. Dirigentin Alondra de la Parra führt hier gemeinsam mit dem Staatsorchester Stuttgart und Albrecht Mayer ein Stück auf, das zugleich als künstlerische Ausdrucksform und gesellschaftlicher Kommentar zu lesen ist. In acht Sätzen, die laut de la Parra als Variationen eines Themas verstanden werden können und sollen, ergründet Márquez unter anderem den Klimawandel, die Gleichstellung der Geschlechter sowie Fragen zu Migration, Resilienz, Empathie, Kontroverse und Utopie.

Eine (un)mögliche Sinfonie

„Die Sinfonía Imposible zeigt wieder einmal, wie grenzenlos die musikalische Vorstellungskraft von Arturo Márquez ist,“ kommentiert Alondra de la Parra. „Die Art und Weise, wie er sich hier den großen Fragen unserer Zeit nähert, ist in ihrer Bandbreite und Qualität absolut beeindruckend. Man nehme den fünften Satz, „Magicicada“: Márquez ließ sich hier von der ‚Empathie‘ zweier Zikaden-Spezies inspirieren, die ihre Jahresund Fortpflanzungszyklen aneinander anpassen und deshalb erfolgreich fortbestehen können. In der Musik kreisen als direkte Repräsentanten die Flöte und der Kontrabass umeinander, bis sie sich beim mittleren D treffen – der einzigen Note, die sie gemeinhaben. Die Geschlechtergleichstellung bot Inspiration für den zweiten Satz, der daran erinnern soll, dass unsere Gesellschaft Frauen aufgrund ihres Geschlechts auch heute noch Tag für Tag vor große Herausforderungen stellt. Als Sinnbild hierfür bewegen sich je ein Cellist und eine Cellistin im Kanon, allerdings sind die Bedingungen für die Frau erschwert – ihr Part ist oktaviert. Spannend ist in diesem Satz auch die Aufteilung der Streicher*-innen: Das divisi ist nach Geschlecht geordnet, nicht wie üblich nach Tonlage. Man kann das Werk also nur aufführen, wenn die Streicher*innen paritätisch besetzt sind. Im sechsten Satz scheinen zwei sture Geigenvirtuos*innen in Konflikt zu treten, obwohl sie eigentlich dasselbe sagen. Im siebten Satz „Utopía mayor“ spielen Posaunen ausschließlich Dur- Akkorde, um zu hinterfragen, was es bedeutet, glücklich zu sein. Die Sinfonie ist technisch überaus anspruchsvoll und lädt das Publikum dazu ein, über die drängendsten Fragen nachzudenken, die uns heute beschäftigen.“

Eine enge Freundschaft

Die Zusammenarbeit für die Sinfonía Imposible war nicht die erste Gelegenheit, bei der Alondra de la Parra und Arturo Márquez aufeinandertrafen. Vielmehr sind sie seit langer Zeit wichtige musikalische Partner füreinander. „Arturo Márquez‘ fantastische Musik gehört definitiv zu meinem Kernrepertoire. Ich glaube, ich habe kein Werk so oft aufgeführt wie Danzón No.2,“ erläutert Alondra de la Parra. Ihre Wege hätten sich in Mexiko immer wieder gekreuzt, unter anderem, als sie 2004 das Philharmonic Orchestra of the Americas gegründet habe, aber besonders eng sei die Freundschaft während der Pandemie geworden, erzählt sie weiter. Die erste Musik, die de la Parra mit ihrem Impossible Orchestra erarbeitete, war Danzón No.2. Mit der Aufzeichnung des Stücks sammelten die Dirigentin und das Orchester Geld für Frauen und Kinder in Mexiko, die Opfer von Gewalt geworden waren, und Márquez habe sie dabei auf großzügige Weise beraten und unterstützt.

Das (un)mögliche Orchester

Zu Hochzeiten der Pandemie schienen viele Dinge unmöglich, besonders aber die Orchestermusik: Zu groß war die Gefahr, die von einer solchen Menschenansammlung ausging. Dass sich die Musik als menschliches Grundbedürfnis allerdings immer einen Weg bahnt, zeigte das Impossible Orchestra von Alondra de la Parra. Für die Gründung des Klangkörpers im Jahr 2020 kontaktierte die Dirigentin kurzerhand einige der besten Solist*innen der Klassikbranche: Guy Braunstein, Felix Klieser, Sarah Willis, Rolando Villazón und viele weitere Musiker*innen, die man unter anderen Umständen wohl niemals in ein und demselben Orchester zu hören bekommen hätte. Die Mitglieder dieses „unmöglich“ scheinenden Ensembles nahmen in Studios rund um die Welt unter strengen Gesundheitsauflagen ihre Parts auf und präsentierten in digitaler Form ihre Version des Danzón No.2. Das Impossible Orchestra war geboren und sein erstes Projekt ein großer Erfolg. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben: Für ihr Klassikfestival PAAX GNP in Mexiko engagierte Alondra de la Parra 2022 das Impossible Orchestra erstmals als Orchester in residence und gab aus diesem Anlass bei Arturo Márquez die Sinfonía Imposible in Auftrag, der das Werk wiederum den Solist*innen des Orchesters auf den Leib schrieb. Aufgeführt wurde es in Europa erstmals 2022 vom Orquesta Sinfónica de Galicia; nun folgt die Premiere in Deutschland.

Vervollständigt wird das Programm in der Stuttgarter Liederhalle am 23. und 24. April durch Stücke von Sergej Prokofjew, Edward Elgar und Ralph Vaughan Williams – mit Impossible-Orchestra-Mitglied Albrecht Mayer an der Oboe. „Ich freue mich sehr darauf, wieder mit Albrecht zusammenzuarbeiten. Ich kann mir für dieses Programm keinen besseren Oboisten vorstellen!“ Neue Musik in Auftrag zu geben, sie aufzuführen und bekannt zu machen sei ein wichtiger Teil ihres Jobs als Dirigentin, erzählt Alondra de la Parra, die bereits zahlreiche neue Stücke von zeitgenössischen Komponist*innen ermöglichte, weiter. Ihr PAAX GNP Festival, das im Sommer 2023 zum zweiten Mal stattfindet, sei nicht zuletzt eine Spielwiese die Entstehung neuer Musik.

Kommende Termine

Alondra de la Parra
Albrecht Mayer
Staatsorchester Stuttgart

Liederhalle Stuttgart, 23./24. April 2023

Sergej Prokofjew Sinfonie Nr. 1 D-Dur, op. 25 „Symphonie classique“
Edward Elgar / Gordon Jacob „Soliloquy“ für Oboe und Orchester
Ralph Vaughan Williams Konzert für Oboe und Streicher a-Moll
Arturo Márquez Sinfonía Imposible (Deutsche Erstaufführung)


Fotos: David Ruano, UNAM, Christoph Köstlin
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