Komposition in Klebestreifen

Der G. Henle Verlag veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem Arnold-Schönberg-Center in Wien Faksimile von Schönberg-Autograph des Klavierkonzert-Particells zum 150. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2024. Am 9. März dirigiert Petr Popelka das Klavierkonzert op. 42, gespielt vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, in der Berliner Philharmonie – Solist ist Pierre-Laurent Aimard.

In den USA war es gerade auf den Markt gekommen, als Arnold Schönberg dort im Exil an seinem Concerto for Piano and Orchestra op. 42, passenderweise im Jahr 1942, arbeitete: transparentes Selbstklebeband. Heutzutage bei uns besser bekannt unter dem Begriff Tesafilm. Und Schönberg scheint sofort ein großer Fan dieses Büroartikels gewesen zu sein. Über 500 Streifen klebte er auf das Particell, teils um das Notat zu fixieren, teils um korrigierte Textfragmente einzupassen. Nur: Diese Streifen taugen nicht für die Ewigkeit. Deswegen nahm sich das Arnold-Schönberg-Center in Wien das Reinschriftparticell vor und restaurierte es auf sorgfältigste Weise: alle Klebestreifen mussten entfernt werden. Der G. Henle Verlag gibt zum 150. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2024 dieses aufgearbeitete Autograph als Faksimile heraus.

In der 80 Seiten starken und 1700 Gramm schweren hochwertigen Notenausgabe ist neben dem Geleitwort von Mitsuko Uchida viel über Entstehungsgeschichte und Konzeption des Werkes zu erfahren. Denn herausgegeben wurde das Faksimile von zwei führenden Schönberg-Expertinnen: Therese Muxenender und Katharina Bleier. Einen überaus detaillierten Bericht über ihre Arbeit am Notenpapier steuert Restauratorin Verena Graf bei.

 

Meerschaumstaub und Cellulose-Gel
Wer diesen Bericht liest, kann einiges über Papierrestaurierung lernen und die Tücken und Herausforderungen kennenlernen, die die Aufarbeitung dieses speziellen Autographs mit sich brachte: Einerseits sind da die nur noch semi-intakten Selbstklebebandstreifen und die dadurch hervorgerufenen „Verbräunungen“ auf dem Papier. Man lernt: Letzteres gehört zur sogenannten Degradationsstufe II. Zudem bedeutet das, so erklärt es uns Verena Graf: „Die Klebemasse hatte ihre Transparenz verloren und wies eine erhöhte Klebekraft auf. Ölige Komponenten hatten das Papier durchtränkt; dieses war unter allen Streifen farblich verändert. Das Cellophan war kaum verfärbt, jedoch leicht geschrumpft; dadurch lag stellenweise ein schmaler Kleberrand frei.“

Andererseits ist mit dem Particell das geschehen, was so schnell mit Papier passiert: die Seiten hatten Risse, waren teilweise gestaucht oder umgebogen. Umgeknickte Ecken wiederum drohten nach 80 Jahren abzubrechen. Was gegen all das hilft? Zum Beispiel Meerschaumstaub, Weizenstärke-Kleister, Cellulose-Gel oder Polyester-Vlies Zulagen. Und natürlich ganz viel Erfahrung, Können und Sensibilität mit dem Material.

Dadurch, dass das Autograph nun so aufwendig restauriert wurde und dessen Faksimile im G. Henle Verlag veröffentlicht ist, können alle Liebhaber:innen Schönbergs Autograph studieren und seine Handschrift auf sich wirken lassen.

Das Concerto for Piano and Orchestra, in dem Schönberg autobiographische Momente von Vertreibung und Exil thematisierte, wird am 9. März in der Berliner Philharmonie auf die Bühne gebracht: Petr Popelka dirigiert das Rundfunksinfonie-Orchester Berlin. Solist ist Pierre-Laurent Aimard, ein ausgesprochener Kenner dieses Werks, der es bereits viele Male spielte. „Es ist ein Stück mit viel Temperament und viel Leidenschaft, aber extrem gut geformt und sehr konzentriert. Dadurch existiert eine unwiderstehliche Kraft von Schwung und Ausdruck“, erklärt Aimard, „das liebe ich sehr.“


Mehr Informationen
zur Faksimile-Ausgab
e beim G. Henle Verlag:

https://www.henle.de/de/Klavierkonzert-op.-42/HN-3231

 

Mehr Informationen zur Restauration beim Arnold Schönberg Center, Wien:

https://schoenberg.at/index.php/de/news-sp-1233479798/2025-aus-dem-archiv-restaurierungsprojekt

 

Konzert

9. März 2024, 20 Uhr, Philharmonie Berlin

Petr Popelka, Dirigent
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Weitere Infos: https://www.roc-berlin.de/konzerte/petr-popelka-pierre-laurent-aimard/

Fotos: Arnold Schönberg Center Wien, 2020
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